Ein kleiner Hund erobert seine Welt / Kurzgeschichte
Laut und schrill erklang die Klingel an der Haustür. Ich zuckte zusammen. Kamen jetzt etwa Menschen, die mich von meiner Mama wegholen wollen?
Die mich mitnehmen und nicht wieder zu meiner Mama zurückbringen? So wie es mit meinen beiden Schwestern und meinem Bruder geschehen war?
Ich kuschelte mich fest an meine hübsche Mama, die so weich war wie ein Sofakissen. Meine Mama hatte weißes, krauses Fell und fast schwarze Augen. Ich mochte sie sehr gerne, genauso wie die Menschen, bei denen wir wohnten. Sie waren nett und freundlich zu uns.
Aber ich glaube, ich sollte mich erst einmal bei Ihnen vorstellen. Mein Name ist Annabell und ich bin ein kleines weißes Pudelmädchen. Die Menschen, bei denen wir zu Hause sind, sagen, dass ich besonders hübsch und lieb bin, nur leider bin ich scheinbar für meine Rasse etwas groß geraten. Nun ja, was soll man da machen? Ich gerate eben ganz nach meinem Vater und nicht nach meiner zarten Mama. Vielleicht ist meine Größe auch der Grund dafür, warum mich noch keiner haben wollte. Wobei ich nicht traurig darüber bin, denn ich fühle mich hier recht wohl. Nur meine Geschwister vermisse ich schon sehr.
Ich hörte im Wohnzimmer Geräusche und laute Stimmen. Ich wusste, gleich würden meine Mama und ich geholt, und den Menschen, die gerade gekommen waren, vorgestellt werden. So war es schon öfter gewesen, und dann waren meine Geschwister nicht wiedergekommen. Und zum Schluss blieb ich mit Mama allein zurück. Ich war in der Zwischenzeit schon vier Monate alt, für einen Hund muss das schon ziemlich alt sein, denn unsere Menschen sagten immer.
„Wenn wir Annabell nicht bald verkaufen, dann wird sie zu alt, dann kauft sie keiner mehr.“
Auch gut dachte ich dann, es gefällt mir hier doch ganz prima.
Die Tür ging auf und die junge Frau, die von allen Sigrid genannt wurde, kam herein. Sigrid war immer besonders nett zu uns. Oft nahm sie mich auf den Arm, um mit mir zu schmusen, was mir gut gefällt. Sie schimpfte auch nur ganz wenig, wenn mir mal wieder ein kleines Malheur passierte und unter mir plötzlich alles nass war. Ich weiß ja, dass ich in den Garten gehen soll, um meine Geschäfte zu erledigen, aber man glaubt gar nicht, was es für einen kleinen Hund alles zu entdecken gibt. Und dann ist es meist auch schon geschehen, wieder ist ein kleines Bächlein entstanden.
Sigrid nahm mich auf den Arm und streichelte sanft über mein Fell. Meine Mama rannte hinter uns her, sie ließ mich nicht aus den Augen.
Im Wohnzimmer standen vier ziemlich große Menschen, die mich erwartungsvoll anblickten. Sigrid ließ mich auf den Fußboden hinunter und ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte.
Also steckte ich erst einmal die Nase auf den Boden und tat sehr geschäftig.
„Ach Schatz“, säuselte die schon etwas ältere Dame, „der ist aber süß! Schau nur, wie er an meinem Schuh knabbert.“
„Niedlich ist sie schon“, antwortete ihr Mann, „aber für vier Monate schon ganz schön groß.“
Ich war genervt, jetzt ging das schon wieder los. Ich war eben nicht so klein wie meine Mama oder meine Geschwister. Aber wenigstens hatte der Mann schon mal festgestellt, dass ich ein Mädchen war.
Noch ein Wort über meine Größe und ich beiß dich in dein Bein, dachte ich, und sah mir den Mann mal etwas genauer. Er sah eigentlich recht freundlich aus. Was mir nicht so gut gefiel, war sein Fell im Gesicht. Die Menschen waren doch sonst immer ganz glatt im Gesicht. Komisch, dieser Mensch hatte Fell im Gesicht. Allerdings nur am Kinn und an den Wangen. Auch die Menschen sind eben nicht vollkommen, genauso wenig wie ein kleiner Hund auch.
Die Frau mit der sanften Stimme sagte: „Wie findet ihr die kleine Annabell, Kinder?“
Kinder sagte sie zu so großen Menschen, also, das wusste ich nun wirklich besser. Kinder waren ziemlich laute und kleine Wesen, und nicht so groß wie die beiden. Ich fand, sie sahen aus wie ganz erwachsene Menschen.
Die jüngere von den Damen nahm mich vorsichtig auf den Arm. Als sie mich an sich drückt, stieg ein angenehmer Duft in meine Nase. Sie roch so gut und sie hatte schöne helle Haare. Also, sie gefiel mir ausnehmend gut.
„Ich finde sie auch süß, Mama, wir sollten sie nehmen. Schau nur, wie lieb sie sich an mich schmust.“
Scheinbar war sie doch noch ein Kind, sonst würde sie ja wohl nicht Mama sagen.
Heimlich seufzte ich. Also gibt es das auch bei Menschen, dass die Kinder zu groß geraten, ging es mir durch den Sinn.
Der jüngere Mann sagte zu dem Mann mit dem Fell im Gesicht. „Ich finde Mairon und Mama haben recht, Papa. Sie ist wirklich süß. Ich finde es auch nicht schlimm, dass sie etwas größer ist.“
Ich schloss aus seinen Worten, dass er auch ein zu groß geratenes Kind war. Die beiden konnten mich also gut verstehen.
Es dauerte dann auch nicht mehr lange und der Kauf war perfekt. Ich gehörte von jetzt an den vier fremden Menschen, und ich wusste nicht, was auf mich zukam.
Meine Mama hatte ganz traurige Augen als die Frau, die alle Mama nannten, mich auf den Arm nahm und das Haus verließ.
Mein Herz klopfte ganz laut
Mein Herz klopfte ganz laut, ich hatte schreckliche Angst. Würde ich meine Mama nie wiedersehen?
Die Frau setzte sich in ein ziemlich großes Auto und drückte mich sanft an sich. Ich rollte mich auf ihrem Schoß zusammen und ließ mich von ihr streicheln.
Als das Auto fuhr, wurde mir ein wenig schlecht, obwohl ich zugeben muss, dass der Mann nicht sehr schnell fuhr. Ich war trotzdem froh, als wir nach relativ kurzer Zeit anhielten.
Es war ein schönes Haus mit einem großen Garten, in dem ich jetzt wohnen würde.
Im Wohnzimmer setzte die Frau mich auf einen hellen, weichen Teppichboden. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Wenn ich mich hier vergesse, dann wird es sicher ein Donnerwetter geben. Überhaupt sah alles sehr sauber und gepflegt aus. Ob ich mich hier wohl richtig benehmen konnte?
Alle vier Menschen setzten sich auf den Fußboden und sahen mir zu, wie ich mir meine neue Welt eroberte. Zuerst einmal beschnupperte ich alles, was in Reichweite meiner Nase war. Die Menschen waren ganz entzückt von mir. Es machte ihnen scheinbar großen Spaß, mich anzusehen.
Aber mein Name gefiel ihnen nicht, sie nannten mich ab sofort Sweety. Ich fand den Namen etwas albern, aber wenn sie glücklich dabei waren, dann sollten sie mich so nennen.
So nach und nach erfuhr ich, dass der Mann mit dem Fell im Gesicht Hergen hieß, und die Frau Johanna. Aber ich beschloss, sie wie die großen Kinder es auch taten, Mama und Papa zu nennen, das erschien mir so vertraut.
Die Kinder, die ja eigentlich keine waren, hießen Bernd und Mairon.
In der ersten Nacht sperrten sie mich in ihr Badezimmer ein. Allerdings stellten sie mir ein weiches Körbchen mit hinein. Sie streichelten mich alle zärtlich und ließen mich dann ganz allein.
Oh, war das schrecklich
Oh, war das schrecklich, so allein zu sein, ohne meine Mama und meine Geschwister. Nein, das konnte ich mir nicht gefallen lassen. Ich beschloss, herzerweichend zu weinen, und siehe da, es dauerte nicht lange, da stand Papa in der Tür.
„Was ist denn los, du musst doch schlafen Sweety“, schimpfte er mit mir. Ich zog den Schwanz ein und verzog mich in mein Körbchen. Aber lange hielt ich es nicht aus, ich wollte einfach nicht allein sein. Also fing ich wieder an zu weinen und zu jaulen.
Gott sei Dank dauerte es nicht lange, da stand Bernd in der Tür.
„Du willst nicht allein sein, oder?“, fragte er mich und nahm mich auf den Arm. Wie schön wäre es, wenn ich jetzt sprechen könnte, um ihm zu sagen, wie einsam ich bin und wie sehr ich mich fürchten würde, dachte ich traurig.
Ganz eng schmiegte ich mich an ihn und ein Seufzer von mir sollte ihn erweichen, mich mitzunehmen.
„Ich nehme dich mit in mein Zimmer, Sweety, aber du musst ganz leise sein, die anderen müssen es nicht unbedingt merken“, flüsterte er mir liebevoll zu.
Ich war erleichtert, endlich war ich nicht mehr allein. Und man stelle sich vor, ich durfte sogar auf seiner Bettdecke, ganz nah bei ihm schlafen. Das war so schön.
Als Mama uns am nächsten Morgen wecken wollte, wurde sie sehr böse mit Bernd und mir.
„Bernd!“, schimpfte sie, „ein Hund gehört nicht ins Bett, gewöhne es ihm nicht an.“
Schade dachte ich, im Bett gefällt es mir doch so gut, aber das wird jetzt sicher vorbei sein.
Doch was soll ich sagen, ich bin jetzt schon sieben Jahre bei meiner Familie, und ich schlafe manchmal sogar am Fußende von Mamas Bett, obwohl sie dann mit mir schimpft.
Aber sie schimpft so lieb
Aber sie schimpft so lieb, dass ich mich in der Nacht immer wieder in ihr Bett schleiche, wenn sie fest schläft.
Für einen kleinen Hund ist es nicht so einfach, wenn er in eine neue Familie kommt. Ich habe allerdings verdammt viel Glück gehabt, meine Familie geht ganz lieb mit mir um.
Ich weiß es von den Hunden, die ich auf der Straße treffe, nicht allen geht es so gut wie mir. Am liebsten würde ich sie alle mit zu mir nach Hause nehmen, aber ich glaube, dass würde Mama nicht erlauben.
Papa ist heute sehr froh, dass ich nicht so klein geblieben bin. Er sagt oft zu Mama: „Wie gut, dass Sweety nicht so klein ist, mit ihr kann man so richtig rumtoben, ohne dass sie gleich zusammenbricht.“
Überhaupt, im Geheimen ist Papa ja für mich der Liebste von allen. Aber das zeige ich natürlich nicht so deutlich, damit die anderen nicht traurig werden, denn sie haben mich alle sehr lieb. Das merke ich daran, wie sie mit mir umgehen.
Wenn Papa sich auf den Sessel setzt, warte ich nicht sehr lange und springe auf seinen Schoß. Ich lege meinen Kopf an seine Schulter und versuche, mit meinem Pfötchen seine Hand zu erreichen. Ein sicheres Zeichen für ihn, jetzt möchte Sweety gestreichelt werden.
Dann lacht er mich zärtlich an und sagt zu mir: „Na gut, du kleiner Quälgeist, du willst wieder gestreichelt werden.“ Ach, Papa ist so lieb zu mir, und ich habe mich auch an sein Fell im Gesicht gewöhnt.
Bernd und Mairon wohnen jetzt nicht mehr bei uns, aber sie kommen mich oft besuchen. Letzte Woche brachte Mairon einen ganz kleinen Menschen mit. Mama war ganz verzückt und beachtete mich nicht mehr. Aber das lasse ich mir natürlich nicht gefallen. Ich ging zu ihr hin und stupste mit der Nase an ihr Bein. Ich setzte meinen treuesten Blick auf und schon lachte Mama mich an.
„Ist ja gut Sweety, du bist doch meine Beste.“
Na also, es geht doch! Ich bin eben doch wichtiger als der neue kleine Mensch.
Was ich allerdings nicht verstehen kann, ist, wieso Papa die Mama jetzt immer neckt und kleine Omi zu ihr sagt. Manchmal ist er schon recht albern.
Wie schon gesagt, ich bin jetzt sieben Jahre bei meiner Familie. Mir geht es sehr gut bei ihr. Aber es gibt so viele Brüder und Schwestern, denen es nicht so gut geht.
Und darum möchte ich herzlich bitten, wenn Sie einen Hund sehen, dann gehen Sie lieb mit ihm um, denn auch ein kleiner Hund hat ein ganz großes Herz.
Jutta Reinert
Bücher
Schwiegermütter machen dick
Mama, ab heute heißt du Oma
Am Ende steht ein neuer Anfang
Ich bin gegangen von Jutta Reinert