Dick oder dünn? Kurzgeschichte

Dick oder DünnAls ich heute einkaufen war, habe ich mich mal wieder über die Gattung Mensch gewundert oder besser, über die Gattung Frau.
Ich schob den recht schweren Einkaufswagen zu meinem Auto, neben dem drei Damen standen. Waren es wirklich Damen?
Sie unterhielten sich lautstark über eine andere, scheinbar nicht anwesende Frau. Es waren keine netten Dinge, die sie über die angebliche Freundin von sich gaben. Sie benutzten zwar das Wort Freundin, es passte allerdings nicht zu dem, ich nenne es mal Klatsch, den sie über die abwesende Dame ausschütteten. Da kamen Beanstandungen wie: Die muss mal auf sich achten, ein bisschen was aus sich machen, man schämt sich ja, sie Freundin zu nennen.
Ich schaute mal ein bisschen genauer hin und bemerkte, dass alle drei einen gepflegten, ja wirklich schicken Eindruck machten. Das Auto, an dem die sehr schlanke Frau angelehnt war, gehörte der gehobenen Mittelklasse an. Sprich, es war ein BMW Cabrio, das in der Sonne glänzte.
Die abfälligen Worte wollten irgendwie nicht zu den Grazien passen, obwohl sich die dickere Frau nicht dazu äußerte und nur still zuhörte. Ihr Leises: „Sie hat ja auch nicht so viel Geld wie ihr“, wurde nicht beachtet. Ich gebe zu, ich wurde ein bisschen neugierig und packte meinen großen Einkauf etwas langsamer ein.


Die etwas mollige Mittfünfzigerin

oder sollte ich doch eher sagen, die relativ dicke Frau? Allerdings war auch sie äußerst gepflegt, mit einem sehr hübschen Gesicht und wundervollen Haaren. Etwas hämisch wurde sie von der ganz Dünnen gefragt: “Hast du ein bisschen abgenommen?“ Als Antwort kam: „Ich glaube, ein bisschen.“
Gleich wurde sie zurechtgewiesen: „Ein bisschen reicht wohl nicht, zwanzig Kilo müssen wenigstens weg.“ Dieses überschlanke Wesen konnte recht haben, aber musste sie es wirklich so kalt und herzlos sagen? Die nicht in die Norm passende ziemlich Dicke zuckte etwas zusammen und sagte dann ganz kleinlaut: „Ja, ich weiß aber es ist so schwer.“
„Schwer ist es nur, wenn man keinen Willen aufbringen kann“, giftete die auch recht schlanke aber nicht überschlanke andere Frau. Ja, richtig, ihre Rundungen saßen an den richtigen Stellen. Was mir aber auffiel, war ihr maskenhaftes Gesicht. Sie schien sich wohl des Öfteren an Botox zu erfreuen, vielleicht war sogar schon das Messer an ihrem Gesicht gewesen.
Jeder wie er möchte, dachte ich so bei mir.
So langsam hatte ich meinen Einkauf in Box und Tüten verstaut, als die eben gedemütigte sehr runde Dame sich etwas unterkühlt verabschiedete. In Corona-Zeiten sollte man sich eh nicht in den Arm nehmen. Obwohl alle drei Damen weder Masken trugen, noch genügend Abstand hielten, blieb die Umarmung aus.
Ich schaute der molligen Dame nach, die zu ihrem schicken Auto ging. Sie packte ihre wenigen Einkäufe in den Kofferraum und setzte sich dann auf den Fahrersitz. Ein wenig schwerfällig sah es schon aus, wie sie ihre Pfunde in das Auto quetschte.
Und schon hörte ich die Überschlanke sagen: „Sieh dir das an, wie die sich quälen muss, um ins Auto zu kommen. Einfach nur widerlich.“
Die andere schüttelte den Kopf und meinte herablassend: „Sie könnte ja wirklich mal abnehmen, die platzt ja bald.“ Beide stimmten ein hässliches Gelächter an. Auf solche Freundinnen sollte man lieber verzichten.


Ich schüttelte etwas heftig meinen Kopf

und brachte meinen Einkaufswagen weg. Als ich zurückkam, schimpften sie immer noch über die zu dicke Frau. Auf der Rückfahrt dachte ich über das gerade Erlebte nach. Ich habe auch mal 15 Kilo mehr gewogen und war immer noch keine Elfe. Ich fragte mich, ob man auch über mich so gesprochen hat, als 15 Kilo mehr meine Hüften zierten? Ins Gesicht hatte es mir keiner gesagt.
Gehen Männer sich auch so an und sagen dem Freund, er solle mal endlich abnehmen? Ich weiß es nicht genau, aber vorstellen konnte ich mir so eine Situation bei Männern nicht.
Zu Hause angekommen kamen all meine Einkäufe in die dafür vorgesehenen Schränke und Schubladen. Das soeben Gehörte und Gesehene wollte mir nicht aus dem Kopf. Ich habe auch dünne und teilweise recht mollige Freundinnen und Bekannte.
Nie würde es mir einfallen, so hämisch über sie zu sprechen. Ich gebe zu, als ich 15 Kilo mehr wog, fühlte ich mich in meiner Haut nicht wohl und bin heute froh, sie los zu sein. Ich müsste noch mehr abnehmen, wenn ich der Norm der Medien und Modemacher entsprechen wollte. Aber wollte ich das wirklich?
Nein, nicht unbedingt. Ich war gerne ich und auf einige Kilos mehr oder weniger sollte es bei einem Menschen nicht ankommen. Es sei denn, es schadet der Gesundheit. Und mal ganz ehrlich, zu Rubens Zeiten wäre ich fast ein wenig zu dünn. Ich bin also nicht zu mollig, sondern nur in der falschen Zeit geboren.
Ein wenig schämte ich mich, der Gattung Frau anzugehören. Sind alle Frauen so? Nein, zum Glück habe ich liebenswerte und liebevolle Frauen in meinem Bekannten und Freundeskreis. Jeder sollte so aussehen, wie er es mag oder vielleicht auch nicht mag. Das Herz und die inneren Werte müssen stimmen. Ein paar Kilos zu viel an Gewicht tun anderen Menschen nicht weh, verachtende und herablassende Worte aber schon.
Deshalb schicke ich euch jetzt eine liebe Umarmung und ganz viele gute Worte. Bleibt alle gesund und genießt euer Leben.

Jutta Reinert


Bücher


Roman Schwiegermütter machen dick von Jutta Reinert

Schwiegermütter machen dick

Ich habe schon viele Seufzer über schlimme Schwiegermütter gehört, bevor ich dieses Buch mit dem Titel „Schwiegermütter machen dick“ geschrieben habe: Julia Ehrenfeld, erst siebzehn Jahre jung, wird schwanger und heiratet ihre große Liebe Nils Ehrenfeld. Von ihrer Schwiegermutter, der sie >> nicht gut genug << ist, wird sie ständig mit Boshaftigkeiten attackiert. Darüber wird...
...weiterlesen
Roman von Jutta Reinert Mama ab heute heißt du Oma

Mama, ab heute heißt du Oma

Das Buch ist eine in sich abgeschlossene Fortsetzung meines Romandebüts unter dem Titel „ Schwiegermütter machen dick “. Nachdem Julia Ehrenfeld langsam wieder seelisch stabiler geworden ist, gerät sie in eine erneute Krise, als ihre Schwägerin ein zweites Kind bekommt und Julia erkennen muss, dass sie mit über 40 Jahren kein Baby mehr haben wird...
...weiterlesen
Roman Am Ende steht ein neuer Anfang Jutta Reinert

Am Ende steht ein neuer Anfang

Nach den Romanen „ Schwiegermütter machen dick “ und „ Mama, ab heute heißt du Oma “, schließe ich meine Trilogie einer deutschen Familie mit dem Roman – „Am Ende steht ein neuer Anfang“ – vorläufig ab. Julia Ehrenfeld sollte es jetzt eigentlich gut gehen. Nachdem sie die andauernde Krise mit ihre Schwiegermutter überwinden konnte...
...weiterlesen
Roman Ich bib gegangen Jutta Reinert

Ich bin gegangen von Jutta Reinert

Marion und Jutta treffen aufeinander als angehende Schwiegermutter und Schwiegertochter. Marion ist die Freundin von Juttas Sohn Oliver. Beide, Mutter und Sohn, haben immer ein sehr herzliches und fröhliches Miteinander gepflegt. Marion kommt aus einer zerstörten Familie, die sehr unglücklich ist. Die Mutter schon früh verloren, hat sie Angst vor der schwierigen Stiefmutter und dem...
...weiterlesen

Kommentar verfassen